Ein Blick von aussen auf unser Land ist meistens aufschlussreich und im besten Fall auch amüsant. Joe-Evans Chialo, Diplomatensohn mit tansanianischen Wurzeln, hat eine lesenswerte Biografie seiner Wanderungen zwischen den Welten veröffentlicht. Der Musik-Manager ist CDU-Mitglied – wegen Angela Merkel.
„Ich bin ein Afropäer. Das sage ich mit Stolz.“
Joe Chialo hat eine ungewöhnliche Lebensgeschichte verfasst, und er durchmischt sie immer wieder locker mit seinen politischen Manifesten: in Form fiktiver Klartext-Ansprachen.
„Die Entwicklungshilfe in ihrer jetzigen Form abschaffen. Sie ist teuer und ineffizient.“
Trade not aid, fairer Handel statt Almosen, statt einer zementierten Hilfeindustrie also – eine uralte Forderung auch zahlreicher europäischer und afrikanischer Ökonomen.
Chialo verweist auf die gewaltigen Chancen und Modernisierungs-Schübe des Kontinents, an die sich China, Russland, die Türkei und die USA längst dranhängen. Wo bleibe da Europa?
Wir erfahren von glücklichen Kindertagen in Daressalam, geprägt von Spielen im Freien mit anderen Kindern. Im afrikanischen Sozialismus des Staatspräsidenten Julius Nyerere allerdings „hatten alle gleich wenig“. Und so erlebte Chialo auch Mangel:
„Das Einheitsessen hiess Ugali (…) ein Getreidebrei aus Maismehl… Bei uns gab es früher ständig Ugali. Mein Bruder und ich stöhnten schon, wenn wir ihn sahen.“
Die nächste Station seiner Familie, Bonn, alles neu, alles exotisch, erinnert der Junge als Abenteuer:
„Die Frauen trugen in unserem Viertel keine Körbe auf dem Kopf, sondern Tengelmann-Tüten in der Hand. In den Läden dröhnte aus den Lautsprechern keine Musik sondern ‚317 bitte an Kasse vier!‘ “
Dank der grossen internationalen Community in der damaligen Bundeshauptstadt, mit Spielkameraden aus aller Welt, fühlt sich der kleine Joe bald nicht mehr fremd.
Englisch auf der internationalen Schule lernt er schnell.
„Ich habe Deutsch tatsächlich hauptsächlich vor der Glotze gelernt.“
Der wohl ungewöhnlichste Teil der Biografie beginnt, als die Diplomatenfamilie ständig umziehen muss, weil der Vater immer wieder versetzt wird. Joe und sein Bruder bleiben mit Rücksicht auf ihre Schulbildung in Deutschland zurück – in einem Klosterinternat der Salesianer.
Überraschend und faszinierend liest sich das; wie Joe Chialo hier eine erfolgreiche jugendliche Prägung über die gesamte Schulzeit hinweg bis zur Lehre nach dem Abitur nachzeichnet – für die er bis heute dankbar ist.
Ein tansanianisches Kind ausgerechnet auf einer Klosterschule – das mag zunächst exotisch anmuten. Aber: Schon sein Vater war in Tansania von Benediktinern ausgebildet worden.
„Im Internat herrschte, was in Deutschland gerne als ‚Zucht und Ordnung‘ bezeichnet wurde. Disziplin und Regeln beherrschten den Alltag.“
Und damit kommt der Junge klar, ja, er weiss es zu schätzen.
Dabei findet er eine Art Vaterersatz bei seinem Weg vom Kind zum Erwachsenen in Pater Oerder. Denn natürlich entbehrt der Junge Nähe, die ihm die Klosterbrüder aus naheliegenden Gründen versagen müssen, die Nestwärme der fernen Familie.
Es erstaunt, wie tief Joe und sein Bruder Jerome in deutsche, in provinzielle Lebenswelten der siebziger und achtziger Jahre regelrecht eingetaucht werden:
An Wochenenden, die andere Jungen bei ihren Familien verbringen, nehmen sich häufig diverse „Pflegeeltern“ der beiden Kinder an – mal erleben die es glücklich als eine Art Trost und Familienersatz, mal bizarr und eher zum Gruseln…
Statt in den Sommerferien mit den Eltern in Urlaub zu fliegen wie andere Kinder, schickt Pater Oerder den Jungen zu harter Arbeit auf einen Putenhof.
„Ich habe Aushalten gelernt.“
Schliesslich der finale Drill nach dem Abitur als Lehrling der Zerspanungstechnik – wo er endgültig die „Leitplanken“ durchbricht, die ihm der Pater bis dahin gesetzt hatte.
In einer seiner fiktiven Ansprachen rechnet der Autor allerdings hart mit der katholischen Kirche ab, fordert rückhaltlose Aufklärung und Strafverfolgung aller Missbrauchsverbrechen.
Und er legt dar, dass er noch immer an die radikale Wandelbarkeit der katholischen Kirche glaubt…
Chancen auskosten, das Leben geniessen, Rückschläge einstecken mit einer Karriere vom Studenten und Kellner zum Türsteher, Sänger in einer Hard-Rockband … bis hin zum erfolgreichen Musikmanager – davon erzählt Chialo im schillerndsten und spannendsten Teil seiner Biografie.
Er habe seine Lebensaufgabe gefunden, so der Autor: Musiker entdecken, fördern, nach Kräften unterstützen, sozusagen zum Glänzen zu bringen.
Offenbar liegt es ihm, sich für andere Menschen einzusetzen: als Lehrlingssprecher für die Azubis im Betrieb, später als Klinkenputzer bei Radiostationen, damit „seine“ Musiker es ‚on air‘ schaffen. Und schliesslich als Bundestagskandidat für die CDU: Er will die Politik aufmischen, mitbestimmen, sich last not least für Popmusik und Kultur engagieren.
2021 hat es noch nicht geklappt. Warum ist er in der CDU?
Ihm imponierte die christliche Nächstenliebe von Angela Merkel in der Flüchtlingskrise – gegen Widerstände.
Widerstände: ‚A luta continua‘ der Kampf geht weiter. Lebens-Motto, das Joe Chialo von seinem Vater übernommen hat, Schlachtruf im Freiheitskampf Mozambiks gegen den portugiesischen Kolonialismus. Dem Autor allerdings geht es mit dem Motto darum, Ängste und Verzagtheit zu überwinden, um Ausdauer in der Demokratie und ihrer schwierigen, anstrengenden Debattenkultur.
Als Mutacher hat er in seinem Buch immer wieder ein paar sozusagen verbale Rippenstösse parat:
„Wir müssen uns gerade machen… und unsere Zukunft in die Hand nehmen. Diese Schläfrigkeit und Dauergejammer, dieses Mimimi geht nicht… es entspricht nicht dem Geist dieses Landes, das immer nach vorne geblickt und Chancen wahrgenommen hat.“
Joe-Evans Chialo
Der Kampf geht weiter: Mein Leben zwischen zwei Welten
Hamburg 2022
(Murmann Verlag)
200 Seiten ab 17,99 €