Schulschiff „Deutschland“ Baujahr 1927, gut vertäut in Bremerhaven, „Ruhestand“ in Bestlage. Nicht ganz: Die Kojen sind ein originelles Logis. Oder doch lieber an die Elbemündung zu „Lieselotte“? 100 Jahre alt, schöner denn je und – luxuriös.
Wetterglück an Deutschlands Nordseeküste: Eben noch entladen sich dunkle Wolken in einer Sturzflut. 10 Minuten später reisst der Himmel auf, die Sonne scheint und die „Deutschland“ glänzt und strahlt weiss in voller Schönheit. Alle Kajüten sind ausgebucht, sämtliche Gäste ausgeflogen.

Foto: Copyright Hans-Ludwig Johnen Deutscher Schulschiff Verein (DSV)
„Wachgänger“ Jürgen Besing hat kurz Zeit, eine ehemalige Offizierskajüte vorzuführen. Die bleibt immer offen, denn Besucher können das Schulschiff auch geführt oder auf eigene Faust erkunden. Zu den Pflichten der ehemaligen „Zöglinge“, der angehenden Seeleute aller Ränge für die Handelsschifffahrt, gehörte es u.a., die kleinen Wassertanks für die ausklappbaren Waschbecken in den Kajüten Ranghöherer zu füllen und das Waschwasser auch wieder zu entfernen, sagt Besing. Und dem Kapitän mussten die Jungs sogar heisses Wasser bereiten und in die einzige Badewanne an Bord kippen…

Foto: Copyright Hans-Ludwig Johnen (DSV)
Die Kajüten wurden erst später eingezogen. Der Gross-Segler diente von 1952 bis 1972 nur noch als stationäre Seemanns-Schule mit Internat. Ursprünglich lag im Zwischendeck ein durchgehender Raum, in dem die jungen Leute zum Schlafen ihre Hängematten aufknüpften.

Foto: Copyright Hans-Ludwig Johnen (DSV)
„Schon toll, so ein Schiff“, findet Simon aus Düsseldorf. „Aber die Kajüten sind sehr eng,“ sagt Laurenz. Lotta: „Man muss sich erst dran gewöhnen, aber das Schiff schaukelt nicht.“ Tatsächlich liegt die „Deutschland“ kaum spürbar schräg, wenn allerdings Sturm seitlich auf Rumpf und Masten drückt, schwankt sie doch ganz leicht…
„Und das Frühstück ist voll gut“, urteilt Emma. Die Vier sind mit ihrer ganzen Klasse an Bord, das Schiff ist also wieder einmal ausgebucht.

Foto: Copyright Hans Ludwig-Johnen (DSV)
Von der Brücke aus lässt sich gut nachvollziehen, warum so ein Segler mit bis zu 140 Mann Besatzung zu Ausbildungsfahrten in alle Welt unterwegs war. Denn die Kommandos bis hoch in die Mastspitzen mussten ja per „Rufketten“ von einem Mann zum anderen funktionieren, auch bei Wellen- und Sturmgetöse…

Rio den Janeiro, Buenos Aires, die Bahamas, Venezuela, Kapstadt, Kanarische Inseln… Bis zu Beginn des 2.Weltkrieges gehörten solche grossen Ausbildungsfahrten zum Programm der „Deutschland“.

Foto: Dieter Rabich
Da passt es gut, wenn heutige Logiergäste nur wenige Schritte an Land mit „Axel aus Bremerhaven“ auf Video-Weltreise gehen können: Im Klimahaus. Mit ihm schwitzen in den Wüsten des Niger oder den feuchten Regenwäldern Kameruns, schlottern in arktischer Kälte am Südpol und sehen, wie die Crew des Bremerhavener Alfred Wegener Instituts für Polar- und Meeresforschung dort lebt, forscht, arbeitet… Eine Tour durch die Klimazonen dieser Erde.

Foto: Evgenii Salganik
Aber wie es so ist auch auf echten Weltreisen: Um solche sinnlichen Erfahrungen zu verkraften, das Gesehene zu verstehen und Kontakte mit Menschen in aller Welt zu knüpfen, hat Axel ein Jahr gebraucht. Und den Besuchern des Klimahauses dürfte es ähnlich gehen: Um die vielen Sinneseindrücke und Informationen der begehbaren Installationen aus „echten“ Wäldern, Fluss- und Seelandschaften, teils mit Tieren, zu verarbeiten, bräuchte man wohl auch ein Jahr oder mehrere Besuche.

Foto: Andreas Heller
Sozusagen Seite an Seite mit dem Schulschiff im „Deutschen Auswanderer Haus“ kann man im Halbdunkel die Fallreep eines Seglers erklimmen und landet erst im Gepäckraum eines Auswanderer-Schiffes aus dem frühen 19. Jahrhundert, dann in den elenden Verschlägen der Reisenden: den Ärmsten der Armen.
Über 7 Millionen Menschen aus ganz Europa schifften sich ab Bremerhaven zwischen 1830 und 1974 ein nach New York, Baltimore, New Orleans.
Optisch und akustisch zugespielt können Besucher tatsächliche Lebenswege einzelner Frauen und Männer verfolgen. Messen, Küchen, Klos, bis hin zur Unterbringung von Passagieren mit viel Geld in Luxus-Kabinen später auf Dampfschiffen mit Swimmingpool und Fitness-Raum schon in den Zwanziger Jahren: Die „Atlantik-Passagen“ im Deutschen Auswandererhaus und das Logis im Schulschiff ergänzen einander perfekt.

Foto: Joachim Kohler-HB
Geschichtlich noch einen gewaltigen Schritt zurück führt die „Bremer Kogge“ aus dem Jahr 1380 im Deutschen Schifffahrtsmuseum.
Und das Historische Museum vermittelt sehr anschaulich die Geschichte Bremerhavens vom Aufstieg vor allem nach dem 2.Weltkrieg mit Schiffbau, Fischerei-Industrie, den amerikanischen Besatzern und dem Lebensgefühl, das sie mit ihrer Musik und ihrem Lebensstil in die kriegszerstörte Stadt getragen haben.

Foto: Txyso
Alles vorbei, mit Wohlstandsverlusten, die sich bisher nicht wieder ausgleichen liessen. Bremerhaven gehört zu den ärmsten Kommunen der Republik, trotz grossem Container-Hafen zur Autoverladung, Kreuzfahrschiff-Terminal und der Entwicklung von Offshore Windkraft-Industrien.
Diese Moderne lässt sich natürlich auch besichtigen.

Mit ihrem sehenswerten Hafenareal rundum die „Deutschland“ setzt Bremerhaven zudem stark auf Tourismus. Der Alte Hafen bietet in der Tat weit mehr als Fischbrötchen-Folklore: besondere zeitgenössische Architektur, teils begehbare alte Schiffe, den kreisrunden Outlet-Komplex gekrönt mit Glaskuppel und das Weser- (Sand-) Strandbad gleich um die Ecke zum Entspannen im Sommer.
Paare lassen sich auf der „Deutschlamd“ gern in der Kapitänssuite trauen. Radfahrer buchen das Schulschiff für Touren ins Umland.

Foto: Wikimedia Bundesamt für Wasserbau
Von der Weser- an die Elbemündung
„Den Whirlpool kann man bis in den November nutzen,“ sagt Sarah Rose und hebt den Deckel. Dampf quillt auf, und darunter brodelt und blubbert es verheissungsvoll für Warmbader beiderlei Geschlechts: Im Sprudelbad auf dem Vordeck sitzen und den Rundumblick geniessen.
Bei „Schietwetter“ ist ein Platz am lodernden Feuer des Kaminöfchens unter Deck sicher noch gemütlicher. Oder ein Saunagang. Die schöne „Lieselotte“ liegt vertäut auf dem Flüsschen Medem in Otterndorf bei Cuxhaven.


Ein alter Lastkahn, der von1925 bis 1984 Elbe auf, Elbe ab und in den angrenzenden Kanälen Stroh, Äpfel aus dem Alten Land, Getreide… transportiert hat, für wechselnde private Eignerinnen und Eigner, erzählt Saskia Rose.
Als Schulkind sei sie immer an dem Schiff vorbei gekommen, sagt Sarah Rose, ihr Wunsch damals: „Da möchte gern mal drauf!“
Jahrzehnte später war es so weit: Die Familie, die die MS „Lieselotte“ lange als Wohnschiff genutzt hatte, bot sie zum Verkauf. Die Roses griffen zu.
Im Innern ist die „Lieselotte“ nicht einfach ein zertifiziertes 5-Sterne-Logis (Deutscher Tourismusverband DTV) mit der üblichen Ferienhauseinrichtung und Extras wie einem Bällebad für die Kleinsten, einer stillen Ecke für digitales Arbeiten… wenn es denn mal sein muss. Hier wird die Handschrift – im Wortsinne – einer erfahrenen Gastgeber-Familie, spezialisiert auf Ferienhäuser sichtbar.
Das ganze Schiff strahlt Wärme, Charme, Harmonie und Behaglichkeit aus.
Sie hätten fast alles in Eigenarbeit gefertigt, erzählen die Schwestern. Nach den stilsicheren Entwürfen von Saskia Rose, offenbar ein Naturtalent, denn sie ist weder Designerin noch Innenarchitektin, aber wohl doch erblich geprägt? Vater und Grossvater waren Schreiner…
Apropos Handwerk: Berühmt ist Otterndorf für seine Gloger – Orgel aus dem Jahr 1741/42. Sie hat viele Liebhaber. Wie auch rund um die Kirche der schmucke alte Stadtkern.

Foto Renetroost

Dietrich Christoph Gloger (1705 – 1773)
Foto Renetroost
Die Medem ist ein Flüsschen, das sich bewegt, sagt Sarah Rose. und so bewege sie natürlich auch das Hausboot, aber nur ganz sanft.
Mit ihrem Bug liegt die „Lieselotte“ nah am Deich, die Medem passiert dort eine überbrückte Schleuse. Dahinter ein kleiner, gemütlicher Yachthafen mit Restaurant. Vom Weg auf der Deichkrone aus können Spaziergänger und Radfahrer Frachter aller Grössen und Container-Dickschiffe im weiten Mündungsbereich der Elbe beobachten.

Foto: Raboe001
Viel Wasser, viel Weite in den Marschen zwischen Elbe- und Wesermündung, Cuxland ist Radfahrer-Land. Und es zählt es zu den besonderen Vergnügen, auf der Medem und anderen Flüsschen zu rudern oder zu paddeln. An Bord der „Lieselotte“ gibt´s dafür eigens ein Gäste-Kanu.
Das alles hat natürlich seinen Preis.
In dem smarten alten Lastkahn finden 6-9 Personen Platz, und so buchten hauptsächlich kleine Gruppen z.B. für Familienfeiern. Es kämen Freundeskreise, aber auch Paare und junge Pärchen für einen besonderen Kurzurlaub, so die Schwestern.
Und dann gebe es noch Gäste, die wollten einfach nur da sein, auf dem Schiff, sagt Sarah Rose.
Aus der Reihe „Kleine Fluchten“ (4). S. auch Herrschaftlicher Ruhepol (3), Langsam, abseits, Ausserfern (2) und Kleine Fluchten (1) vom 21.5.2021.
Die Beiträge dieser Reihe werden nicht gesponsert.