Langsam, abseits, Ausserfern

Eine Bahnlinie, die kaum jemand kennt: die Ausserfernbahn. Für die kleine Entdeckungstour zwischendurch zum Entspannen und Geniessen. In Zügen,die funktionieren und (fast) pünktlich fahren.

Auf nach Kempten im Allgäu! Am Hauptbahnhof wartet schon auf Gleis 5 die Ausserfernbahn über Pfronten nach Garmisch-Partenkirchen.
1895 begann die bayerische Staatsregierung die Strecke als „Localbahn“ bis Pfronten zu bauen, später verlängert bis Reutte/Tirol. Und in Österreich komplettierte den Schienenweg die private Mittenwaldbahn AG dann bis 1913, um einen bis dahin vollkommen entlegenen Zipfel des Landes mit dem Rest der Welt zu verbinden: das Ausserfern. Daher der Name.

Aber wenn schon mal in Kempten, sollte man da nicht…?
Doch, doch… auch noch eine längere oder kürzere Stadtbesichtigung einplanen. Als Kurz-Version 2 – 3 Stunden.
Die Ausserfern-Bahn fährt stündlich in beiden Richtungen, im Sommer wie im Winter,  aber nur tagsüber.

Leider liegt der Bahnhof etwas abseits des Zentrums. Der halbstündige Fussweg dorthin ist vollkommen unattraktiv, deshalb sind die eng getakteten Stadtbusse direkt vor dem Bahnhof eine gute Alternative. In 5 Minuten befördern sie ihre Fahrgäste in die Innenstadt, z.B. Haltestelle Forum Allgäu, einem Einkaufszentrum.

Rathaus
Foto:www.outdooractive.com

Von dort aus lässt sich die bergab fallende Fussgängerzone mit Altstadt und Fürstäblicher Residenz gut erreichen.
Unübersehbar nach einigen Gehminuten zur Rechten die im Sommer mit leuchtenden Blumen geschmückte Jugendstil- Freitreppe mit einem prächtigen Brunnen am Fuss. Sie lässt einen hinab „schweben“ ins Herz der angeblich ältesten urkundlich erwähnten Stadt Deutschlands (vor mehr als 2000 Jahren): zu Kemptens Rathausplatz und zur St. Mang-Kirche.
Hier lohnt es sich, in Ruhe zu schauen: das Rathaus von 1474, der schmucke alte Markt- Brunnen, dazu prägen manche Bürgerhäuser vom Mittelalter bis ins Rokoko Plätze und Gassen.
Ein intaktes, perfekt saniertes Altstadt-Ensemble erwartet einen aber nicht. Zwischendrin fallen immer wieder Gebäude aus den letzten ca. 65 Jahren auf, in bemüht „historisch angepasstem“ Stil.

Basilika St. Lorenz und Fürstäbtliche Residenz
Foto: www.structure.net

Fürstlicher Glanz weiter unten

Weiter geht’s die Fussgängerzone abwärts oder per Bus zur Fürstäblichen Residenz mit der Basilika St. Lorenz. Die ganze Herrlichkeit der adligen Äbte im Innern, Protz und Prunk des Rokoko, der armen bäuerlichen Bevölkerung abgepresst, lässt sich nur mit Führungen alle 45 Minuten besichtigen.
Erholsam ist dann ein Bummel durch den barocken Hofgarten samt Orangerie.

Festsaal
Foto: Richard Mayer

Nicht zu übersehen, Platz greifend, liegt direkt benachbart der Residenz bombastisch und hässlich die traurige Ruine des Kaufhofs, noch rundum verkleidet mit den unvermeidlichen Horten-Wabenfassaden aus den 70er-Jahren…
Horten, auch so ein unter gegangener Kaufhauskonzern, Ältere erinnern sich vielleicht.

Die Ausserfern-Bahn dagegen hat die Zeitläufe überlebt.
Eine reguläre Bahnlinie, – wohlgemerkt keine Museumsbahn – die für 94 km fast 2/12 Stunden benötigt, muss wohl etwas Besonderes bieten, denn sie verkehrt seit nun fast 130 Jahren.

Hält „an jedem Baum“

28 Stationen, viel Himmel, viel Weite im Blick: Das macht Lust, öfter auszusteigen und in die Allgäuer Wiesen,-Wald- und Bergwelt zu spontanen oder geplanten Wander- oder und Radtoren aufzubrechen:„…bitte Haltewunschtaste drücken!“

Der Pferdefuss: Anders als mit eigener Kraft kommt man in die Fläche leider nur schwer. Öffentlicher Verkehrsmittel? Meist Fehlanzeige.Taxi? Umständlich (vorbestellen!) und teuer, zumal wenn sie öfter im Stau stecken bleiben.

Und so zählen zur Klientel des Bähnchens ausser Pendlern vor allem Fitte jeden Alters, und an Wochenenden und zur Ferienzeit Junge mit Rädern und alpiner Wanderausrüstung. In der kalten Jahreszeit reisen sie zum Snowboarden und Skifahren an.
Als „Besichtigungstour“ vom Zugfenster aus hat die Strecke allerdings nur Charme bei sonnigem, klarem Wetter, weil sich sonst die Bergwelt samt Alpen hinter Dunst und Wolken verschanzt.

Rechts und links des Schienenstrangs

Der Wirtschaft einer einst eher rückständigen, ärmlichen Region auf die Sprünge zu helfen mit der Ausserfernbahn, war wohl das wichtigste Ansinnen der Bayerischen und Österreichischen Bauherren. Was gelang: Fremdenverkehr in die prachtvolle Natur zu locken, dazu zeitweilig Güter wie Holz,Torf, Heizöl, Kohle und Zement per Bahn zu transportieren.

Maria Rain

Die älteste Wallfahrtskirche des Allgäu (15. Jh.) liegt über dem Wertachtal mit Fernblick auf Alpenketten, Zugspitze, Schloss Neuschwanstein.

Foto: Flodur

Schön langsam. Zahlreiche Bahnübergänge zwingen dazu. Tuten an jedem Wiesenweg mit Andreas-Kreuz, der typische Begleit-Sound des Bummelbähnchen, während es sich durch die weichen Wellen der Wiesen-Hügellandschaft schlängelt und so schon von Ferne ankündigt.

2020 ereignete sich ein Beinah-Zusammenstoss auf der eingleisigen Strecke.
Ursächlch waren wohl dialekt-bedingte Kommunikations-Schwierigkeiten zwischen dem bayerischen und dem österreichischen Fahrdienstleiter, wie die Bundesstelle für Eisenbahnunfalluntersuchung (BEU) feststellte…
Ab Ende 2024 soll die deutsche Strecke mit elektronischer Stellwerkstechnik gesichert sein.

Nesselwang

Von der Talstation schwebt eine Seilbahn hoch auf die Alpspitz (1575 m). Nicht zu verwechseln mit der Alpspitze bei Garmisch-Partenkirchen (2628 m).
Fussweg vom Bahnhof Nesselwang 1,2 km bzw. 20 Minuten.

Foto: LoKiLeCh

Ab Bahnhof Nesselwang dauert eine Wanderung ins Naturschutzgebiet Attlesee mit See und Badeplatz ca. 60 Minuten (ca.3 km) und zum Kögelweiher in der Nähe, ebenfalls ein Moorsee mit Bademöglichkeit, ist man zu Fuss dann noch einmal 2 km unterwegs.

Attlesee / Foto: Molgreen

Pfronten

Königliche Ausblicke!
Auf Anhieb wird klar, warum Ludwig II. auf der Burgruine Falkenstein ins Träumen geriet bei der weiten Sicht über Weissensee, Hopfensee (heutzutage dazu der erst 1954 komplett aufgestaute Forggensee) bis tief hinein in „sein“ geliebtes Bayernland. Er wünschte sich eine „Trutzburg“ auf dem Grund von Deutschlands höchst gelegener Burgruine (1277 m). Pläne gab es schon, es blieb aber beim Traum König Ludwigs II. wegen seines frühen Todes.

Burgruine Falkenstein Foto: Dark Avenger

Wandern ab Bahnhof Pfronten-Steinach 7 km (ca. 2 Stunden). Mit Moutain-Bike/E-Bike schon am Bf. Ried aussteigen und über Meilingen die einspurige Autostrasse hoch strampeln. Kein Zubringer-Bus.

Unterhalb der Ruine ein stylisches „Boutique-Hotel“ mit Jausen-Angebot, Plätzen auch in Freien, teils über schwindelnden Abgründen. Direkt gegenüber Bahnhof Pfronten-Steinbach: Talstation der Seilbahn auf den Breitenberg (1838 m).

Alles umsteigen bitte!

Bis hierher laufen Diesel-Triebwagen.
Passagiere bis Garmisch müssen nun in Pfronten-Steinach auf den bereit stehenden Zug mit Elektrotriebwagen umsteigen. Arbeitsteilung: DB Regio Bayern betreibt den gesamten Reiseverkehr auf der Strecke. Die Österreichische Bundesbahn (ÖBB) unterhält die Infrastruktur auf ihrem Staatsgebiet. Ein liebenswerter Anachronismus?

Hauptsache die Bahn fährt! Dafür hat nicht zuletzt immer wieder massiver Bürger-Einsatz gesorgt und so die Stilllegung der Ausserfernbahn mit verhindert. Denn in ihrer bewegten Geschichte drohte ihr mehrfach das Aus. Wachsender Individualverkehr, aber auch neue Buslinien machten der Bahn Konkurrenz. Standen teure Sanierungen an, gab es extreme Wetterschäden an er Strecke, stellte sich oft die Frage: Lohnen die Reparaturen?
Die aktuellen umfänglichen Erneuerungen an den Bahnhöfe Nesselwang und Pfronten Ried sprechen für sich. Die Ausserfernbahn gilt inzwischen als ein Stück regionaler Daseinsfürsorge, „gemeinnützige Infrastruktur“, sagt Dr. Christoph Gasser-Mair von der Österreichischen Bundesbahn (ÖBB) in Innsbruck.

Reutte/Tirol

Zwischen Pfronten-Steinbach und Reutte weichen die schönen Landschaftsbilder vorm Zugfenster eine Zeit lang Klein- und Mittelgewerbe-Betrieben, ehe die Bahn im Wald verschwindet.

Für einen kurzen Moment taucht rechts hoch auf dem Berg und in der Ferne die Ehrenburg auf, aber erst hinter Reutte:
Um sie zu besichtigen, also am Bahnhof Reutte aussteigen und 3,8 km dorthin etwa eine Stunde laufen bzw. 15 Minuten mit dem Rad hinfahren. Kein Zubringer-Bus, bei Bedarf ein Taxi vorbestellen.

Burgruine Ehrenburg
Fussgängerhängebrücke zwischen Ehrenburg und Schlosskopf

Das Ensemble „Burgenwelt“ mit Burgruine Ehrenburg, Schlosskopf, Festung Klause und Fort Claudia und lässt sich auch bequem und kindgerecht mit seinen beiden Schrägaufzügen erkunden. Die 400 Meter der Hängebrücke auf leicht schwankendem Gitterrost hoch über der Fernpass-Strasse 179 entlang zu laufen, ist ein prickelndes Vergüngen. Leichte Eleganz, 70 Tonnen schwer, das technische Meisterwerk in gut 1000 m Höhe ü.M. hängt an 12 Ankern, 17 m tief in die Felsen eingelassen.

Deutlich komfortabler als in den kargen Gemäuern zu Zeiten früherer Bewohner kann man heute innerhalb der Klausen-Festung im dortigen Hotel nächtigen und sich in Restaurant und Café stärken.

Schlosskopf
Alle Fotos: Burgenwelt Ehrenburg Reutte/Tirol

Auf dem wichtigen 2000 Jahre alten Handelsweg Via Claudia Augusta von der Adria über Tirol nach Bayern kamen ab dem Mittelalter die unzähligen Fuhrwerke und Kutschen von Süd nach Nord und umgekehrt an der Feste Klausen nicht vorbei. Jahrhunderte lang strichen die wechselnden Herrscher in Tirol satte Mautgebühren ein.
Angriff und Verteidigung: Ständig weiter entwickelte Feuerwaffen seit dem 13. Jh. zwangen auch die jeweiligen Burgherren dazu, ihr mächtges Bollwerk ständig „nachzurüsten“.

Heiterwang-Plansee

Zum flaschengrünen, kristallklaren Heiterwanger See läuft man ca. 2 km ab Bahnhof, durch das stille Dorf, über eine schmale Zubringerstrasse und einen Wanderweg.
Am See ein Hotel mit Campingplatz, dazu Badewiese, Ruderboote, Sup, Schiffsrundfahrt über Heiterwanger- und Plansee (1Stunde 50 Minuten).

Heiterwang/Plansee mit mit Seen

Lermoos

Hinter Lähn tauchen dann die „Riesen“ am rechten Zugfenster auf: Sonnenspitze (2400 m) und Marienspitzen (2560m). Und zwischen Lähn und Lermoos schliesslich Deutschlands „Höchster“: die Zugspitze (2810 m).

Sonnenspitze und Marienspitzen

In Lermoos verkehrt ganzjährig direkt ab Ortsmitte eine Seilbahn hoch zum Grubigstein. Ab der nächsten Station Ehrwald pendelt ein Bus zum Zugspitzbahnhof (Gondeln der Tiroler Zugspitzbahn), im Sommer wie im Winter.

Zugspitze

Garmisch-Partenkirchen

Endstation Ausserfernbahn!
Die Qual der Wahl: Gleich weiter zum Zugspitz-Gipfel mit der Zahnradbahn? Oder den Anschluss nach Innsbruck nehmen, Fahrzeit 1 Std. 19 Minuten?
Statt einer mühseligen Tagesreise wie einst für die Bewohner des Ausserfern sollte der Bahnbau 1913 die Fahrgäste ja nicht zuletzt flott in die Landeshauptstadt Tirols bringen.

Hinweis:
Schienenersatzverkehr (SEV) wegen gelegentlicher Sanierungsarbeiten möglich.
Dringende Empfehlung: Regulären Bahnbetrieb abwarten!
Fahrplan stets tagesaktuell kontrollieren.

Ausserfernbahn Stationen

Aus der Reihe „Kleine Fluchten“ (2). S. Auch „Kleine Fluchten“ vom 31.5.2021.

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