Familienkaufhäuser, Kaufhausfamilien

Es gibt sie noch: kleine und grössere, inhabergeführte Kaufhäuser, oft in zweiter oder gar dritter Generation. Sie haben dem Boom des Online-Handels getrotzt, die Corona-Krise überlebt, Lieferengpässe überstanden und nun auch noch die Inflation zu verkraften. Wie schaffen die das?

Die junge Verkäuferin legt einen dicken Holzscheit nach. Ein Plätzchen zum Ausruhen vom Einkaufsbummel, auf Wunsch mit einem Glas Glühwein gratis. Zur kalten Jahreszeit knistert der Ofen. Das hat schon Tradition im InnKaufhaus Wasserburg.
Alles in diesem Haus zielt darauf ab, dass sich die Kundschaft freundlich angesprochen und wohl fühlt.


Betritt man das InnKaufhaus in Wasserburg, so empfängt einen im Parterre eine dicht gepackte Warenwelt, die zum Stöbern und Entdecken verlockt. Eine schicke Umhängetasche? Eine Flasche portugiesischen Wein aus der Feinkostabteilung? Oder doch nur ein Pflichtkauf: eine Klarsichthülle, Schulhefte für die Kinder aus der Schreibwarenabteilung?
Aber da wäre noch dieser kleine Nostalgiewecker, rundliches Design, mit Zeigern und zum Aufziehen… Sehr gefragt, sagt Sibylle Schuhmacher, die zusammen mit ihrem Mann Tobias das Haus führt.

„Wir sind anders“

Leitlinie des Ehepaares: Sie wollen nie langweilen. Die beiden haben viel von der Welt gesehen, den Familienbetrieb des Vaters von Sibylle Schuhmacher als Berufsfremde übernommen. Wagemut also: Sie (45) kommt aus dem Marketing von SAP, ihr Mann Tobias (48) war Vertriebsfachmann, beide in New York. Dort haben sie sich auch kennen gelernt.
Den anderen Blick auf ein Kaufhaus empfinden sie als Vorteil. Aber klar: “Wir waren grün hinter den Ohren“. Da seien auch Fehler unvermeidlich, die Lehrgeld kosten. Beispiel: Die ganze 2. Etage mit Wäsche zu füllen, viel zu viel. Das hatte ihnen ein Fachmann geraten, weil die beiden Neulinge doch nichts von Mode verstünden…
Durchhänger blieben nicht aus, Zweifel: Schaffen wir das wirklich?
Sie habe neue Stärken an sich entdeckt, sagt die Chefin.

„EK/ Passion Award“
fürs Kaufhhaus-Konzept: Ehepaar Schuhmacher

Kaum gestartet, nichts als Krisen….

Inflation? Anstrengend, als es am schlimmsten war, ständig das Sortiment neu mit Preisen auszuzeichnen. Immerhin: Weil sie regional einkaufen, trafen sie die Lieferengpässe kaum. Die Corona-Krise dagegen schon. Kurzarbeitergeld für die Belegschaft war hilfreich. Umständlich Staatsgelder beantragen mochten sie nicht, haben aber einen privaten Kredit aufgenommen. Und Ideen entwickelt: z.B. im Lockdown kurzerhand die ganze Strumpfabteilung mit ihrem separaten Eingang im Parterre frei geräumt und mit Lebensmitteln gefüllt…

…und weiter mit Optimismus

Die Schuhmachers suchen sämtliche Waren selbst aus und „inszenieren“ sie liebevoll in und auf alten Möbeln, Regalen, in Holzkisten… Sie lieben die neue Freiheit als Unternehmer und sie sind, so scheint es, in ihrem Kaufhaus „angekommen“.
In coolen Instagram-Posts präsentieren Mitarbeiterinnen, aber auch die Chefin selbst Mode, dazu je nach Saison, den kunstvoll aufgebauten Weihnachtsmarkt, schmucke Dekowaren fürs zu Hause… Motto: „Alles, was das Leben schöner macht“, die die Kundschaft jeden Alters immer wieder überrascht, emotional und sinnlich anspricht.
Etliche ganz junge Leute hätten ja noch nie ein Kaufhaus gesehen, sagt Sibylle Schuhmacher.

Auf Instagram: Mitarbeiterinnen zeigen Mode für Herbst/Winter

Sie haben selbst zwei kleine Kinder, und vielleicht auch deshalb ist die riesige, gut sortierte Spielwarenetage so liebevoll ausgestattet; Mit Tippkick, einem Spieltisch, Schaukelpferd, mit Laufrad und Riesenlaster, damit die Kleinen dies Paradies mobil erkunden können. Geschaffte Eltern lockt vielleicht die kleine Sofa- und Sesselinsel mittendrin, um bei einem Kaffee aus dem Automaten zu verschnaufen.

Es belebt die Stadt zusätzlich, wenn das InnKaufhaus mal zum nächtlichen Einkaufsbummel einlädt. Oder in die 3. Etage für Lesungen, eine Theatervorführung und natürlich Modenschauen, mit 300 Besuchern gesteckt voll: Laienmodels, junge Männer und Frauen zeigen, was das Kaufhaus zu bieten hat.

Coolness in den 1950er Jahren

Szenenwechsel: Wiederaufbau im kriegszerstörten Deutschland. Die Menschen sehnen sich nach Normalität, nach Schönheit und ein bisschen Glamour. Modeschauen gehörten damals absolut dazu, in der Modemetropole Berlin, in München… aber, Respekt: auch in Augsburg-Pfersee. Das kleine Kaufhaus Konrad, hervorgegangen aus einem bescheidenen Textilgeschäft, mietet sich einen grossen Festsaal im Stadtteil und lädt als „Conférencier“ – heute „Moderator“ – den jungen Fred Bertelmann. Der steigt dann im Wirtschaftswunder-Deutschland zum Schlagermillionär auf.

Modernität zahlt sich aus. 1974 entsteht im Herzen von Pfersee der Kaufhaus-Neubau. Konrad existiert seit 1894, nunmehr in 4. Generation.

Geh zum Konrad, der hat alles!“

Lebensmittel zwar nicht, Marken-Bekleidung und -Textilien aber sehr wohl, und dazu alles, was im Alltag mal plötzlich kaputt geht oder fehlt. Wenn das Bügeleisen streikt oder die Kaffeemaschine, wenn ein bestimmtes Nähgarn her muss oder eine Tube Uhu oder Druckerpapier… Im traditionellen Stadtteilladen kauft das Publikum, weil hier verlässlich ein kleines, massgeschneidertes Sortiment für alle und fast alles zu finden ist. Vom Koffer bis zum Bilderrahmen. Und Service: Schweres nach Hause liefern lassen, Waren in Ruhe zu Hause ansehen, Änderungsdienst, Uhrbatterie-Tausch…

Nahversorger

Trotzdem muss das Warenhaus immer wieder etwas Neues oder Überraschendes bieten. Flächen für regionales Kunstgewerbe z.B. Ein starres Angebot am immer selben Platz wie in grossen Einkaufszentren sei undenkbar für ein überschaubares Nachbarschaftskaufhaus, so Wolfgang Konrad. Er betreibt den Handel zusammen mit seinem Bruder Klaus und zwei Nichten.
Kundinnen finden hinten im Parterre ein kleines, abgeteiltes Hand- und Fusspflegestudio, das hat auch nicht jedes Warenhaus.

Konrad als Nahversorger ist eine Institution in dem ohnehin familiär geprägten Stadtteil Pfersee.
Man kennt sich. Es ist auch eine Art Sozialtreff. Kunden wechseln gern ein paar Worte miteinander oder mit ihnen vertrauten Verkäuferinnen.

Im Herzen von Augsburg-Pfersee: Konrad 1953…

Das ist es. Solche Häuser „werden massgeblich geprägt durch die Persönlichkeiten ihrer Inhaber*innen, die häufig noch selbst im Laden stehen und ihre Kunden und deren Bedürfnisse persönlich kennt,“ sagt Prof. Gerrit Heinemann, Wirtschaftswissenschaftler von der Universität am Niederrhein.

Harte Zeiten heute…

Corona war ein herber Einschnitt. Er habe Existenzängste ausgestanden wie nie zuvor, sagt Wolfgang Konrad. Dennoch mochte auch er keine staatlichen Hilfen beantragen, aber Kurzarbeitergeld half.
Und Phantasie: Sie haben ihre Ladenregale fotografiert und die Bilder ins Netz gestellt. Die Bestellungen der Kundschaft dann in den Stadtteil geliefert: mit dem Fahrrad.

Onlinehandel hatten sie schon vor Jahren probiert. Ergebnis: für sie kein Umsatzbringer. Die Leute suchen im Kaufhaus etwas Abwechslung im Alltag. Waren anzusehen, sich eine Kleinigkeit zu leisten, macht Freude.

…bis heute

Während der Corona-Lockdowns hatte zum Glück die Postfiliale, vermietete Fläche im Souterrain, immer offen. Das zog Besucher. Die nahmen mal schnell etwas mit, auf den damals erlaubten, wenigen Verkaufsflächen.

Dass die Leute in Inflationszeiten weniger Geld ausgeben, spüren sie schon. Was aber auffällt im übrigen Markensortiment, sind preiswerte Kleinigkeiten wie aparte indische Schmuckdöschen oder hübsche Staubtücher mit einem originellen Design, für die man gern mal ein paar Euro locker macht. Eine kleine Kollektion schicker, erschwinglicher Armbanduhren. Oder faire Preise wie z.B. die einer regionalen Unterwäsche-Firma…

…und früher

Wie steht ein Familienbetrieb schwere und schwerste Krisen durch? Zwei Weltkriege, zwei Mal Inflation, Ölkrise…
Mit Rücklagen, vor allem aber müsse man sich eben bescheiden und stark einschränken, sagt der Chef.
Ausserdem: So gut wie alle Familienbetriebe bewirtschaften ihre eigenen Immobilien. Miete zu zahlen wäre bei diesem Geschäftsmodell undenkbar – in guten wie in schlechten Zeiten.
Dagegen sorgen Mieter auf eigenen Flächen für ein gewisses finanzielles Polster. Bei Konrad in einer Etage und in einem Bereich mit geräumigem Bäckerei-Café neben dem Eingang, zusätzlich zur Post.

Schick in der Provinz

„European Award für visuelles Marketing“: Preisträger Jürgen Raab, verantwortlich fürs WOHA-Design

Wenn man durch das Kaufhaus WOHA in Donauwörth streift, entdeckt man vielleicht irgendwo auch einen schlanken, unauffällig gekleideten Herrn, der Kartons auspackt und konzentriert schaut, wo in den Ausstellungsflächen z.B. der schicke Lederrucksack am besten zur Geltung kommt. Jürgen Raab (56) führt zusammen mit dem Familienunternehmer Ulf Kissling die Geschäfte bei WOHA. Er packt selbst mit an, und  er ist ein begnadeter Dekorateur.
Wie die Schuhmachers in Wasserburg sucht er die Ware selbst aus.

WoHa 1932

WOHA? Donauwörth? 1932 gründeten zwei Brüder ihr Kaufhaus in Schwäbisch Gmünd, das 1968 an die Donau umzog. Oberbekleidung, Wäsche, Haushalts- und Dekowaren, Uhren, Schmuck, Spielwaren, Geschenkartikel von schmuck verpackten Seifen bis Konfiserie, und als Spezialität eine riesige Sportbekleidungsabteilung mit Ski-Service… Die „Wohlfeile Handelsgesellschaft“, dafür steht das Kürzel, ist nach gut 90 Jahren bei den mittleren Preislagen gelandet.

Grosstadt-Niveau

Herrenmode Etage

Bei genauem Hinschauen fallen auf den weiträumigen, luftigen Etagen auch originell und variationsreich gestaltete Regale, Podeste, Wände, Hintergründe auf, dazu eine raffinierte Beleuchtungs-Regie für unterschiedliche Bereiche von sehr licht bis warm getönt.

Drei Generationen WOHA – wie bringt man so ein inzwischen auf 6000 m2 gewachsenes Kaufhaus durch schwierige Zeiten? Ein Kaufhaus zu führen mache ganz einfach Freude, sagt Geschäftsführer Jürgen Raab, der selbst schon 30 Jahre dabei ist. Man glaubt es ihm, weil er diesen Enthusiasmus auch ausstrahlt. Täglich tausend Dinge bedenken, was das Sortiment, was das Team betrifft, Erfolge sehen, aus Misserfolgen lernen… Beruf als Berufung.

Ungewöhnliche Töne aus einer Branche, deren Giganten teilweise auch mit knapp 700 Millionen Euro wohl verlorener Steuergelder nicht zu retten sind.

Keine Staatsgelder beantragen wollte dagegen WOHA während der Pandemie-Zeiten. Sie haben sich mit Rücklagen durchmanövriert, immer Kontakt zu Kunden und Belegschaft gehalten, alle Teilöffnungsmöglichkeiten genutzt. Die erhofften Erfolge blieben aus. Da haben sie drei Monate lang ganz dicht gemacht.
Online-Handel? „Ist mehr Service, trägt wenig zum Umsatz bei“, so Raab. Sehen, anfassen, schnuppern – vielleicht kommen Warenhäuser wieder mehr in Mode?

Instagram-Post: Jugentliche aus der Region zeigen individuelle WOHA-Outfits

Weitermachen!

Der Neustart nach all den Krisen gelang.
WOHA profitiert von der Kaufkraft des ganzen Landkreises mit rund 70 000 Einwohnern zwischen Augsburg und Ingolstadt mit dem Audi-Werk. Auch mit einer Klientel, die sich mittlere Preise leisten kann.

Die Inflation schlägt also bei ihnen nicht auf die Umsätze durch. Im Gegenteil: Nach den mageren Jahren ist Jürgen Raab mit den Umsatzzuwächsen hoch zufrieden.
Das florierende Kaufhaus zieht auch Publikum in die hübsche Altstadt von Donauwörth mit Gastronomie und kleinen Geschäften.

Einkaufszentren auf der grünen Wiese? „Interessieren uns nicht. Wir heissen unsere Kundinnen und Kunden herzlich willkommen, oft auch persönlich“,  bedienten individuell, viele seien Stammkunden, so Raab.
Lieferengpässe der Vergangenheit mussten sie optisch umspielen: Waren kamen ja oft nur in Teilmengen, und dann war ein geschicktes Händchen gefragt, um das im Angebot nicht allzu sichtbar werden zu lassen.

Gute Zeiten, schlechte Zeiten

Immer durchhalten! „Aus Leidenschaft!“ sagt Jürgen Raab.

Eine Kaufmannsfamilie mit Tradition – sind 130 Jahre nicht genug? „Nein“, sagt Wolfgang Konrad, mit 68 Jahren längst im Ruhestandsalter, „weil es uns ernährt!“

Sibylle Schuhmacher, in einem neuen Instagram-Post: „Nerver give up. Am Ende wird alles gut!“

Und die Zukunftsaussichten? Kaufhäuser, die sich „auf die regionalen und lokalen Bedürfnisse ausrichten, haben auch künftig alle Möglichkeiten“, so Gerrit Heinnemann – egal ob in Gross-, Mittel- oder Kleinstädten.
Wenn sie Ideenreichtum und Service statt Standard auszeichnet.

WOHA Schaufenster

Inhabergeführte Kaufhäuser mit Gründungsjahr (Auswahl):

Rid Weilheim/Obb. (1840), H.B.Jensen Westerland/Sylt (1855), Stolz Burg/Fehmarn (1858), Ahrens Marburg/Lahn (1869), Pecht Neustadt/Saale (1872), Pieper Saarlouis (1885), Dodehof Posthausen (1910), L+ T Osnabrück (1910), Bauer Regen (1923), Nessler Ahrensburg (1930), Ganz Bensheim/Bergstrasse (1936) Danielsmeier Datteln (1938), Behrens Wiesmoor (1953), Weyrauch Bad Nauheim (1961), Braun Gross Gerau (1961), Wagener Baden-Baden (1981), Knudsen Niebüll, Kolkmann Scheessel, Kaufhaus am Ostbahnhof München.

 

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