Der besondere Duft

 Er ist der Deutschen liebster Nadelbaum, aber nur wenige können ihn in freier Natur korrekt identifizieren: die Weisstanne. Dabei ist es vor allem für viele Grossstädter unverzichtbar, sich so oft wie möglich in nahen Wäldern zu erholen.

„Duft und Grün… Balsam für die Seele!“
„Tannenduft, Ruhe und Erholung“
„Ferienwohnung “Tannenduft‘ – biologische Holzbauweise mit eigener Schwarzwaldtanne…“

Verheissungen von Schwarzwald-Hotelliers mit Wahrheitsgehalt:
Waldaromen, insbesondere von Nadelhölzern, können beruhigen, Stress abbauen, guten Schlaf fördern.
Wenn Waldwanderungen den Kopf klären und erfrischen, liegt das nicht nur an der Bewegung. Terpene, die Duftstoffe der Nadelhölzer, belüften die Atemwege, und auch die Haut nimmt sie auf.
Die belebenden ätherischen Öle können wacher machen, die Konzentration fördern und sogar bei Depressiven einen gewissen Kick aus dem Tief bewirken, weiss Ursula Damith, Aromatherapeutin bei einem grossen Anbieter pflanzlicher Duftextrakte in Bioqualität.

Düfte sind Geschmacksache.
Fichten und Kiefern verströmen ein kräftiges Harzaroma.
Feiner dagegen Weisstannen: sehr frisch, sehr leicht riechen die zerriebenen Nadeln.
Die glatten, hellen Stämme haben dem Baum den Namen gegeben und weisen im Gegensatz etwa zur Fichte keine stark aromatischen, äusseren Harzbeulen auf, es sei denn als Wundverschluss bei Verletzungen der Bäume.

Stehende Zapfen in Blüte

Raubbau

Silva Nigra – schwarzer Wald, so nannten ihn die Römer, dunkel und schwer durchdringlich wie der Schwarzwald damals war. Geprägt überwiegend von Weisstannen und Buchen, etwa im Verhältnis 60 zu 40.
Bei den Niederländern waren die kerzengeraden, elastischen Weisstannenstämme als sturmfeste Schiffsmasten begehrt. Der Holzhandel, die gefährliche Plackerei der Flösser, die Tannen über Flüsschen wie Kinzig, Murg, Nagold und über den Rhein zu treiben, zählte zu den wichtigsten Einnahmequellen im Schwarzwald.

Mit der Industrialisierung um Mitte des 19. Jahrhunderts begann der rücksichtslose Kahlschlag. Folge: Die Weisstannenbestände im Schwarzwald liegen heute, gebietsweise unterschiedlich stark, insgesamt nur noch bei etwa 20%. Im Norden wachsen mehr Tannen als im Süden. Mit der Idee der Wiederaufforstung setzte sich die Fichte stärker durch, weil sie schneller wächst, damit schneller zu ernten ist und Erträge abwirft.

Die Weisstanne blieb aber bevorzugtes Bauholz für die Schwarzwaldhöfe.
Und vielseitig genutzte Pflanze nach dem Motto: Nichts geht verloren. Auch ohne äussere Beulen schützt das Harz der Rinde den Baum vor Bakterien, Pilzen, Parasiten und Fressfeinden.

Flache Nadeln, weiss-silbrig an der Unterseite

Upcycling

Mit seinem leichten Wohlgeruch nach Zironen und Gewürzen diente das Harz früher in Salben und Pflastern der Wund- und Geschwürheilung, gegen Zahnweh, zur besseren Durchblutung auch bei Rheuma und Arthrose. Das Öl aus Nadeln und Zapfen gilt als entzündungshemmend.

Aufgüsse aus Tannengrün zum Inhalieren sorgten für Erleichterung bei Atemwegskrankheiten, Tee aus Zweigen bei Verschleimung und Heiserkeit.
„Tannenbier“ wurde gebraut aus einem Konzentrat gekochter und vergorener Nadeln. Über dem Reisig räucherte der berühmte Schwarzwälder Schinken – Verfahren der Wahl bis heute.

Das zart säuerliche, helle Maigrün der Tannespitzen mit seinen Enzymen und Vitamin C lässt sich als Sirup konzentrieren.

Heutzutage füllen Verwertungsideen und Rezepte für Tannengrün seitenweise das Internet. Vor allem nach Weihnachten überbieten sich Autorinnen mit Vorschlägen, das ausrangierte – pestizidfreie – Bäumchen intensiver zu nutzen, ehe man es mit vielleicht etwas schlechtem Gewissen der kommunalen Grünabfuhr überlässt.
Als Badezusatz, Parfüm aus Dampfdestillat, als Gewürz-Abwechslung statt Rosmarin ein paar Weisstannennadeln in die Frikadelle oder ins Gemüse streuen, getrocknet und pulvrisiert, im Frühjahr dann die jungen hellen Maitriebe als Tee…

Überlebenschancen

Maigrün haben allerdings auch Tiere des Waldes zum Fressen gern: Wiederkäuer vom Rotwild bis zum Mufflon. Ein Problem für „Abies alba“ (lat.) bei der Arterhaltung und beim Wiederaufforsten. Waldbesitzer müssen den Wildbestand auf einem verträglichen Stand für den Baumnachwuchs insgesamt halten.

Im Klimawandel stehen die Chancen für die Weisstannen günstiger als für die Fichten, die mit ihren flachen Wurzeln bei Sturm leichter umkippen als Tannen mit ihren tiefen Pfahlwurzeln. Damit erreichen sie auch leichter feuchtere Bodenschichten als die Fichte und sind besser gegen Trockenheit geschützt.

„Sie vermehrt sich nicht schlecht“, sagt Andreas Ehring von der Forstlichen Versuchsanstalt in Freiburg über die Weisstanne. Auch von selbst, also in Naturverjüngung. Bei Bedarf pflanzen oder säen Forstleute nach. „Die Frage ist, ob die Bäumchen durchhalten.“
Da komme es dann auch auf die „Lichtsteuerung“ an: Tannen lieben Schatten, vor allem in jungen Jahren. Sie brauchen also das Umfeld, die Schirme anderer Baumarten, Buchen z.B. Bergahorn, Vogelbeere… Mischwald, individuell der jeweiligen Lage angepasst, je höher sie wachsen, desto heller darf ihre Umgebung werden, reguliert durch Fällung.

Weisstanne: Höhenlagen 600 – 900 Meter bevorzugt

Muss man mögen

Weisstannenholz ist keine Massenware wie Fichte, und im Gegensatz zu anderen Rohstoffen derzeit herrscht kein Mangel. Die Preise sind stabil.
Nachteil: Die Stämme müssen erheblich länger getrocknet werden als Fichtenholz. Das treibt die Kosten und macht es weniger beliebt.

Weisstannenholz: Nationalparkzentrum Schwarzwald

Tanne dunkelt etwas weniger nach als Fichte. Andererseits verfärben sich Astlöcher schwärzlich. Daran scheiden sich die Geschmäcker.

Nationalparkzentrum innen

Äste, Reisig und Nadeln, die bei der Tannen-Ernte anfallen, bleiben liegen und verrotten langsam zu Humus. Naturschützern missfällt, dass grosse Teile mitunter in Biogasanlagen oder sogar in der Müllverbrennung landen statt ebenfalls liegen zu bleiben.
Als Bodendecker, Weihnachtsschmuck oder Räucherwerk für Schinken spielt das Reisig kaum noch eine Rolle.

Foto: Karl Napf
Freiburger Münster: teils 1000 Jahre altes Tannenholz im Gebälk

Duftsouvenir?

Ungenutzt bleiben Ernteabfälle wie Zweige, Fruchtzapfen und Nadeln hierzulande auch als Rohware für destillierte Duftöle. Im Schweizer Jura dagegen, in ählichen Lagen, bedient eine kleine Destillerie den heimischen Markt.

Deutsche Produzenten von Pflanzenölen beziehen ihre Bio-zertifizierten Weisstannen-Essenzen aus Frankreich und Bulgarien.
Und so werden Touristen wohl weiterhin auf ein Fläschen Original Schwarzwälder Tannenduft als Souvneir verzichten müssen, anders als etwa Besucher der Provence, die sich ihr Laveldelöl mit nach Hause nehmen.
Das ist schade, denn der Mensch hat ein Duftgedächtnis, so die Aromatherapeutin Ursula Damith. Düfte wecken Erinnerungen und Gefühle – im Idealfall positive.
Weisstannenhonig aus dem Schwarzwald, immerhin, konserviert das zarte Aroma.

Ein Hauch von Waldduft entschwebt auch dem heimischen „Needle-Gin“ – fein gemischt aus „Botanicals“ wie Wacholderbeere, Zitrone, Orangen, Landel, Piment, Zimt, Ingwer und – frischen grünen Nadeln: allerdings von der Fichte.
Koexistenz immergrüner Schwarzwald-Gehölze.

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